KOHLHIESELS TÖCHTER / ICH MÖCHTE KEIN MANN SEIN

23. August 2024
Einlass: 20:00 Uhr
Beginn: 21:00 Uhr

Jahr
1920/1918
Regie
Ernst Lubitsch
Darsteller:innen
Henny Porten, Emil Jannings, Gustav von Wangenheim, Jakob Tiedke / Ossi Oswalda, Ferry Sikla, Curt Goetz, Margarete Kupfer, Victor Janson
Musik
Metropolis Orchester Berlin / Florian C. Reithner / Ensemble Narrativ

Gastwirt Mathias Kohlhiesel (Jakob Tiedtke) will seine zwei ungleichen Töchter verheiraten – die kratzbürstige Liesel und die hübsche Gretel (in beiden Rollen: Henny Porten). Xaver (Emil Jannings) und Seppl (Gustav von Wangenheim) bemühen sich beide um Gretel, doch Vater Kohlhiesel will erst seine ältere Tochter unter die Haube bringen. Draufgänger Xaver heiratet Liesel – anfangs nur um an Gretel zu gelangen. Doch je besser Xaver seine Liesel kennenlernt und sie ihn (!), desto mehr verliebt er sich in sie. Und da Xaver mit der sich zunehmend verwandelnden Liesel sein Glück gefunden hat, kann der schüchterne Seppl seine Gretel ehelichen.

KOHLHIESELS TÖCHTER basiert auf einer bayerischen Volkstheatervariante von Shakespeares „Der Widerspenstigen Zähmung“. Den bäuerlichen Schwank verwandelte Lubitsch in eine slapstickhaft überdrehte Filmkomödie voller derber Späße und frivoler Anspielungen. Auf die ihm eigene Art werden von Lubitsch ethnische wie geschlechtsspezifische Stereotype persifliert und damit ad absurdum geführt. Bayerische Folklore erscheint als pures Klischee, tradierte Geschlechterrollen sind der Lächerlichkeit preisgegeben. Neben Henny Porten, einem der ersten Filmstars des deutschen Kinos, der in einer Doppelrolle glänzt, tragen Emil Jannings und Gustav von Wangenheim zum Gelingen des Films bei. KOHLHIESELS TÖCHTER wurde Lubitschs kommerziell erfolgreichster Film vor seinem Wechsel nach Hollywood.

Die UFA Filmnächte zeigten KOHLHIESELS TÖCHTER in der von der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung mit Unterstützung von Bertelsmann digital restaurierten Fassung.
Musikalisch begleitet wurde der Film vom Metropolis Orchester Berlin mit einer im Auftrag der UFA Filmnächte erstellten Neukomposition von Florian C. Reithner.

Direkt im Anschluss folgte ICH MÖCHTE KEIN MANN SEIN:

Ossi (Ossi Oswalda) wächst bei ihrem wohlhabenden Onkel auf, der meist geschäftlich unterwegs ist. Betreut wird sie von einer Gouvernante (Margarete Kupfer), die sich erfolglos darum bemüht, der jungen Frau ihre Vorliebe für Zigaretten, Alkohol und Poker auszutreiben. Auch der eigens engagierte, strenge Hauslehrer Kersten (Curt Goetz) kann daran wenig ändern. Um endlich die Privilegien leben zu können, die nur Männern zustehen, lässt sich Ossi einen Frack anfertigen und geht in ein Berliner Ballhaus. Dort trifft sie den ahnungslosen Kersten, der gerade von einem Mädchen versetzt wurde. Verständnisvoll tröstet Ossi ihren Hauslehrer. Der findet Gefallen an seinem neuen Freund, die beiden kommen sich näher…

So perfekt die Hosenrolle zur kessen Ossi Oswalda passt, so beispielhaft zeigt ICH MÖCHTE KEIN MANN SEIN Lubitschs Sympathie für ungebändigte, starke Frauenfiguren: Ihr Witz, ihr Selbstbewusstsein und ihre Auflehnung gegen überkommene Konventionen wurden von Lubitsch auch in Komödien wie DIE AUSTERNPRINZESSIN oder DIE PUPPE (beide 1919) thematisiert, verkörpert von Lubitschs erstem weiblichen Star aus Berlin-Niederschönhausen: Ossi Oswalda. Mit ihr entstanden in den Berliner Jahren des Regisseurs zwischen 1915 und 1920 insgesamt zwölf Komödien.

Musikalisch begleitet wurde KOHLHIESELS TÖCHTER vom Metropolis Orchester Berlin mit einer im Auftrag der UFA Filmnächte erstellten Neukomposition von Florian C. Reithner.

ICH MÖCHTE KEIN MANN SEIN wurde vom Ensemble Narrativ unter der Leitung von Maria Reich und Florian C. Reithner vertont.

Musik

Metropolis Orchester Berlin / Florian C. Reithner / Ensemble Narrativ

KOHLHIESELS TÖCHTER wird vom Metropolis Orchester Berlin mit einer im Auftrag der UFA Filmnächte erstellten Neukomposition von Florian C. Reithner begleitet. ICH MÖCHTE KEIN MANN SEIN markiert das Debüt des fünfköpfigen Ensemble Narrativ unter der Leitung von Maria Reich und Florian C. Reithner. Weiterlesen

Filmpatin Jenni Zylkas Einführung in die drei starken Frauenrollen im Ernst-Lubitsch-Double-Feature

Mein Name ist Jenni Zylka, ich bin Filmjournalistin, Filmkuratorin und Filmfan.

Im Ernst Lubitsch-Double-Feature lernen Sie drei bemerkenswerte Frauenfiguren kennen.
Zunächst KOHLHIESELS TÖCHTER von 1920, in einer von der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung mit Unterstützung von Bertelsmann digital restaurierten Fassung, und mit dem ersten deutschen Filmstar Henny Porten in einer Doppelrolle. Und da möchte ich Ihre Aufmerksamkeit gleich mal auf das Masken-Gewerk lenken: Schon die Frisuren der Schwestern Gretel und Liesel Kohlhiesel, Töchter des knorrigen Kohlhieselbauern in den bayerischen Alpen irgendwann im 19. Jahrhundert, sind symptomatisch für Charaktere und Zeit.
Als elegante Gretel trägt Henny Porten ihr Haar im Bauernzopf, man sagte später französischer Zopf, eng um den Kopf geflochten, raffiniert, kunstfertig, ordentlich. Sie weiß nicht nur, wie man die Schaumkrone ladylike vom Bier entfernt, sie kann auch noch putzen, sich schmücken und vor allem: Lächeln. Die ungehobelte Schwester Liesel dagegen zwirbelt sich das Haupthaar widerwillig zu einem rudimentären Knoten – der sich übrigens auch in der 1962er Verfilmung des Stoffs auf Lilo Pulver wiederfindet.
Dieser Knoten ist unter dem Namen „Undone“ oder „Messy Dutt“ aktuell wieder modern bei jungen Frauen – er soll Gelassenheit gegenüber angeblichen Schönheitsregeln symbolisieren. Und auch Liesel ist eigentlich, würde man heute sagen, gelassen bzw. schert sich nicht die Bohne um Konventionen: Sie geht wie ein Bierkutscher, frisst wie ein Scheunendrescher, säuft wie ein Bürstenbinder oder umgekehrt. Nichts gegen diese ehrenwerten Berufe, aber sie ist eine auffallend undamenhafte Dame. Die beiden Galane im Film, der handfeste Peter Xaver, gespielt vom ersten Oscarpreisträger der Welt Emil Jannings, und Paul Seppl, den Gustav von Wangenheim mit feinen Zügen und zauberhaften Grübchen gibt, diese beiden werfen ihre Augen - klar - zunächst auf Gretel, doch dann ersinnt Seppl einen Plan, der am Ende alle vier Teile des Kleeblatts glücklich macht. Das sehen Sie gleich.
In diesem lose auf Shakespeares „Der Widerspenstigen Zähmung“ beruhenden Bauernschwank stecken auf jeden Fall eine Menge Misogynie und Reduktion – schließlich muss Liesel „gezähmt“ und dominiert werden, darf, um einen Mann zu bekommen, nicht sie selbst bleiben, sondern hat sich in ein gefügiges Weib ohne Widerworte zu verwandeln. Aber Sie glauben doch wohl nicht, dass eine Liesel Kohlhiesel in Gestalt der toughen Komödiantin Henny Porten nach erfolgter Hochzeit diese unterwürfige Attitude beibehält? Und wenn ich Xaver richtig einschätze, ist das auch gut so: Da haben sich zwei gefunden, die sich wahrhaft lieben. Xavers Handgreiflichkeiten, die man zurecht ablehnen muss, symbolisierten für Lubitsch auch eine gleichberechtigte Stärke der Partner:innen.
Zudem zeigt der Großstädter Lubitsch in „Kohlhiesels Töchter“ zwar im Kern ein traditionelles Rollenverständnis, aber mit noch mehr Lust richten sich seine humoristisch gewandeten Ressentiments gegen Bauern und deren vermeintlich deftige, ländliche Lebensweise. Das ist nicht umsonst ein Bauernschwank, mit Bauern, die schwanken. Gleichzeitig malt Lubitsch ein beeindruckend diverses Bild von Frauen, wie wir dann im zweiten Film des Abends, ICH MÖCHTE KEIN MANN SEIN von 1918 noch deutlicher sehen. Der wurde damals mit einem Jugendverbot belegt, so entrüstet war man über die freche Protagonistin, der erste Teenage Rebel der Filmgeschichte. Komödientalent Ossi Oswalda als Ossi, Nichte eines Kommerzienrats, deren Erziehungsberechtigten ihr bigott alles verbieten, was sie selbst tun, und die sich über diese Regeln hinwegsetzt, raucht, säuft, Karten kloppt, und sich den Hof machen lässt: Studentische Süßholzraspler singen unter ihrem Fenster den anzüglichen Hit „Ja wenn das der Petrus wüsste“. Und weil das nicht nur eine Coming of Age-Story ist, sondern auch Crossdresserfilm und Verwechslungskomödie, geht Ossi auf eine Heldinnenreise, die sich gewaschen hat. Sie wirft sich kurzerhand in Männerkleidung, stolziert über den Kudamm, fährt zum Feiern in den Mäusepalast, stellt fest, dass die Männer zwar ein grobes Volk, die Frauen aber ein rücksichtsloses Volk sind, trinkt zu viel, raucht Zigarren. Und begegnet ihrem Love Interest darum zwar schließlich recht bedröhnt, aber spürt, dass er der richtige ist. Später küssen sich diese beiden zu dem Zeitpunkt männlich gelesenen Menschen innig, auf den Mund – und Lubitsch löst nie auf, wer zum Zeitpunkt des Kusses wusste, was genau der oder die andere wirklich ist oder sein möchte.
„Ich will kein Mann sein“ ist somit hochkomplexes LGBTQ+ Material. Denn der Film erweitert sowohl Frauen- als auch Männerbilder. Und gibt nicht nur ein starkes Beispiel für Lubitschs Phantasie und Ideenreichtum ab, sondern auch für sein vielleicht unbewusst irgendwo im Inneren schlummerndes Wissen, dass in Sachen Genderkonstrukt nichts in Stein gemeißelt sein darf. Und dass sich Kintopp und Komödie fantastisch dazu eignen, enge Genderregeln zu lockern, um sie dann bald endlich ganz zu sprengen, ob mit oder ohne Undone Dutt und Zigarre.
Aber ein Stummfilm ohne Musik ist nur die halbe Miete. Und da gibt es ebenfalls Wunderbares zu vermelden: Der österreichische Dirigent, Pianist, Organist und Komponist Florian C. Reithner war hier schon öfter zu hören und zu sehen, 2015 schuf er im Auftrag von Bertelsmann eine neue Musik zu Murnaus TABU von1930. Er komponierte die Musik zu DER BERG DES SCHICKSALS und spielte dann mit dem Metropolis Orchester Berlin 2022 bei den UFA Filmnächten als Solist an der Orgel. Seine neue Komposition zu KOHLHIESELS TÖCHTER spielte wieder das Metropolis Orchester Berlin unter der Leitung von Burkhard Götze. Nach einer 15minütigen Pause zwischen den Filmen debütierte danach das für ICH MÖCHTE KEIN MANN SEIN das von der Geigerin, Bratschistin und Komponistin Maria Reich und Florian C. Reithner eigens gegründete Ensemble Narrativ.


Dieser Text wurde leicht gekürzt und adaptiert

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